Prof. Dr. Dr. Horst-​Eberhard Richter – Eine Würdigung

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Prof. Dr. Dr. Horst-​Eberhard Richter –
Eine Würdigung

Am 28. April wäre unser Gründungsvater 100 Jahre alt geworden

Als Gründervater unseres Vereins ist Horst-​Eberhard Richter aus den Erzählungen des VPsT e.V. nicht wegzudenken. Im weiteren Prozess der Psychiatriereform der 70er-​Jahre entstand der Grundgedanke, Versorgungsnetze sozialpsychiatrischer und sozialtherapeutischer Angebote auch im ländlichen Raum weiter auszubauen. Im Rahmen der Initiativgruppe um Horst-​Eberhard Richter ist der Verein dann als Modellprojekt im östlichen Landkreis entstanden. Somit ist es eine nahezu logische Konsequenz, dass sein Wirken auch ausführlich Raum in der Festschrift zum 40-​jährigen Jubiläum des Vereins erhalten hat.  „Für mich als Mitarbeitenden, der zur Zeit der Vereinsgründung noch nicht geboren war, und trotz des Studiums an der Justus-​Liebig-​Universität in Gießen Horst-​Eberhard Richter nie persönlich erleben durfte, bleiben die Überlieferungen im Vereinskontext jedoch allenfalls sagenbehaftet.“ berichtet Robert Kemnade.  Im Rahmen der Vorbereitung dieses Artikels begab sich Robert Kemnade auf Spurensuche und möchte hier heute Horst-​Eberhard Richter nochmals vorstellen. 

Horst-​Eberhard Richter wurde 1923 in Berlin Wilmersdorf geboren. Zur Zeit seiner Geburt war der Vater bereits 50 Jahre alt, die Mutter 18 Jahre jünger. Nach eigener Aussage war er dem Vater „untergejubelt“ worden. Er habe daher bereits früh damit begonnen um die Gunst und Anerkennung des Vaters zu buhlen und sei diesem auch in Haltung und Gesinnung nachgeeifert. Als Heranwachsender in Berlin konnte er die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten auf den Straßen der Hauptstadt live mitverfolgen. Der Vater, der die Grausam- und Sinnlosigkeit des Krieges bereits als Soldat im Weltkrieg I. erlebt hatte, verabscheute hinter geschlossenen Türen die blinde Gefolgschaft seiner Mitmenschen und die Ideologie, die sich immer mehr zu etablieren begann. 

Richter Senior konnte allerdings auch nicht verhindern, dass Horst-​Eberhard nach dem erfolgreichen Abschluss der Abiturprüfungen am Berliner Grunewald-​Gymnasium in den Militärdienst an der Ostfront eingezogen wurde. Einer Diphterie-​Erkrankung hatte Richter letztlich zu verdanken, dass er als Soldat der 6. Armee der Vernichtung in Stalingrad entkommen war. Die Schuld gegenüber den gefallenen Kameraden begleitete ihn jedoch auf seinem weiteren Lebensweg. Nach seiner Genesung wurde Richter nochmals stationiert, diesmal in Norditalien, wo er 1944 desertierte und sich bis Kriegsende in den Alpen versteckte. Das Terrain war ihm nicht unbekannt, war es bereits vor dem Krieg ein Rückzugsort des Vaters, mit dem er dort viel Zeit verbrachte. 

Als Richter 1945 nach Berlin zurückkehrte, waren vom Elternhaus fast ausschließlich Trümmer übrig und die Eltern nicht mehr am Leben. In der Folge, möglicherweise auch um einen Umgang mit den persönlichen Erlebnissen zu erlernen, nahm er das Studium der Psychologie, Philosophie und Medizin auf. In einem Portrait des Südwestdeutschen Rundfunks von 2007 wird ihm zugeschrieben er habe bereits früh den Ansporn verspürt, die Zustände ändern und eine andere Welt schaffen zu wollen. Richter erläutert, dass Medizin, und insbesondere Psychiatrie, auch nach Kriegsende nach wie vor stark geprägt waren von den Ideologien des Nationalsozialismus, durch Kategorisierung von Herrenrasse und Untermenschen. 

Gesellschaftliches und insbesondere familiäres Leben war gestört durch die Tabuisierung der Schuldfrage der Eltern- und Großelterngeneration. Diese transgenerationalen Spannungen entluden sich letztlich in den Studentenprotesten der 68er Bewegung, in denen sich Horst-​Eberhard Richter mit der aufbegehrenden Jugend solidarisierte ohne jedoch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für sich zu beanspruchen. Im damals noch nicht etablierten Ansatz der Familientherapie unterstützte Richter die aufbegehrende Jugend in der Aufarbeitung der Eltern-​Kind Beziehung und der oft zu Grunde liegenden Frage der Schuld. In der Konsequenz der Aufarbeitung beschäftigte sich Richter gemeinsam mit KollegInnen auch mit der menschenunwürdigen Situation der während des Nationalsozialismus etablierten „Ausgrenzungs- und Verwahrpsychiatrie“. Der Prozess der Psychiatriereform, der in der Psychiatrie-​Enquete von 1975 begründet liegt, dauert bis heute an. 

Im Zuge des NATO-​Doppelbeschluss, der im erneuten Wettrüsten resultierte und dem Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan, erreichte der Kalte Krieg 1980 eine weitere Eskalationsstufe. In deren Folge gründete sich 1980 „Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs“ in deren westdeutschen Sektion Horst-​Eberhard Richter aktiv mitarbeitete. Der internationale Zusammenschluss setzt sich insbesondere für die Abrüstung atomarer Waffen ein und wurde 1985 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. 

Eine Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz lehnte er indes drei Mal ab. Dieses sei in der Vergangenheit zu vielen Altnazis verliehen worden. Horst-​Eberhard Richter wurde in der medialen Öffentlichkeit gerne als unbequem und kritisch kategorisiert. Er sei ein Mensch, der auch den Einflussreichen und Mächtigen die Meinung sagte und sich nicht zum Schweigen bringen ließ und gerade deshalb deren Ansehen genoss. Als Vermittler zwischen Ost und West war er maßgeblich an der Wiedervereinigung beteiligt und lud auch in den 90er Jahren weiterhin zu Gesprächen der Annäherung ein. Und sicherlich hätte er auch in modernen Krisenzeiten seine Meinung und Haltung gegenüber den Mächtigen kundgetan und vielleicht den einen oder anderen Denkanstoß in Bewegung gebracht. Geschadet hätte seine Kritik am steten Modernisierungs- und damit verbundenen Machtbestreben unserer Spezies wohl nicht.

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